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Eröffnungsrede von Julius Wagner zum gemeinsamen Neujahrsempfang von Stadt Eltville und Stiftung
Rede
Julius Wagner
Vorstandsvorsitzender der Stiftung Kloster Eberbach
anlässlich des gemeinsamen Neujahrsempfangs der Stadt Eltville am Rhein und der Stiftung Kloster Eberbach
am 21. Januar 2024 um 11 Uhr in Laiendormitorium von Kloster Eberbach
Herzlich willkommen zum gemeinsamen Neujahrsempfang der Stadt Eltville am Rhein und der Stiftung Kloster Eberbach!
[Begrüßung der namentlich zu begrüßenden Gäste im Einzelnen...
… geschätzte Vertreterinnen und Vertreter der Vielzahl an Institutionen und Einrichtungen, die entweder haupt- oder ehrenamtlich das Leben im Rheingau, in Wiesbaden und darüber hinaus, sicher, sozialer, infrastrukturell besser und für uns alle lebenswert gestalten,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Mitglieder unserer großen Klosterfamilie und Freundinnen und Freunde von Kloster Eberbach,]
Denkt immer daran, dass es nur eine wichtige Zeit gibt:
Heute. Hier. Jetzt.
Vor fast genau einem Jahr durfte ich das erste Mal zum Jahresauftakt für Kloster Eberbach zu Ihnen sprechen, und ich sage Ihnen, ich bin auch heute etwas aufgeregt. Doch ich fühle mich schon längst bei Ihnen und Euch zuhause und das ist ein stärkendes gutes Gefühl. Ich bin Ihnen allen dankbar, dass Sie mich persönlich so fest und so herzlich im Rheingau und hier im Kloster aufgenommen haben.
Ich hatte die Gelegenheit kürzlich anlässlich der Erntedankfeier der Rheingauer Winzer sprechen zu dürfen und stieß im Zuge der Vorbereitung meiner Worte auf die Erklärung einer uns allen bekannten Redewendung im klösterlichen Kontext. Erlauben Sie mir, diese auch Ihnen als heutiges Warming-up zu erzählen:
Die Mönche und die Laienbrüder haben hier im Januar jahrhundertelang bitterlich gefroren, ganz besonders, weil das Laiendormitorium damals nicht beheizt wurde und ganz besonders, wenn sie morgens um fünf Uhr das erste ihrer sieben Stundengebete in der Klosterkirche hielten. Sie befestigten während dieser Frühmesse kleine Kerzen auf ihren Daumennägeln, damit sie in ihrem Gebetbuch lesen konnten. Wenn die Messe zu lange dauerte und die Kerzen zu weit auf die Nägel abbrannten, musste schneller gesungen werden, damit sich die Mönche nicht verbrannten. Daher stammt der Ausdruck „Es brennt mir auf den Nägeln“, wenn etwas eilig ist bzw. man etwas kaum abwarten kann.
Uns brennt das Wachs auf den Nägeln, denn wir haben große Erwartungen an die neue hessische Landesregierung, die seit vergangenem Donnerstag ihre Arbeit aufgenommen hat. Über diese Erwartungen gestatten Sie mir heute ebenso ein Wort zum Jahresgeleit an Sie zu richten wie über diejenigen Erwartungen, die wir demgegenüber an uns selbst stellen.
Doch zuvor gilt hier vor Ihnen und Euch allen der in Kloster Eberbach laut und deutlich ausgesprochene Dank, die formulierte Anerkennung für zwei Persönlichkeiten, die die Klosterstiftung viele Jahre lang geprägt und in den Rheingau gewirkt haben und die zum Beginn dieses Jahres neue, andere Wege beschreiten: Timo Georgi und Priska Hinz.
Timo Georgi war 14 Jahre lang engagiert und wirkungsvoll als Vorstandsmitglied im Dienst der Stiftung Kloster Eberbach und wechselte vergangene Woche zu Lotto Hessen. Danke für alles, lieber Timo!
Und willkommen, lieber Kollege Sebastian Macho als Timos Nachfolger und neues Vorstandsmitglied an meiner Seite.
Die nun ehemalige Hessische Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Priska Hinz, stand zehn Jahre lang dem Kuratorium der Stiftung Kloster Eberbach vor. Wir haben Sie am 10. Januar hier feierlich und sehr persönlich verabschiedet. Danke, liebe Priska!
Die „agrarheute“, ein landwirtschaftliches Fachmagazin, titelte in der vergangenen Woche: „Winzer neuer Landwirtschaftsminister in Hessen“ und weiter: „Er ist 45 Jahre alt, Sohn eines Winzers und stammt aus Eltville im Rheingau-Taunus. Er wird das neue Ressort mit der Zuständigkeit für Landwirtschaft und Umwelt, Weinbau, Forsten, Jagd und Heimat übernehmen. Sein Versprechen: Die traditionell eher konservativ wählenden Bauern, Winzer, Förster oder Jäger sollen mehr Freiheiten erhalten.“
Beim letzten großen Bauernaufstand im Jahr 1525 plünderten die aufständischen und nach Freiheit strebenden Bauern die ganze Abtei. Aus Furcht und Missgunst leerten die Eltviller Bürger aber zuvor nach das berühmte „Große Fass“ und soffen ganze 71.000 Liter Wein leer.
Allein die Aufzählung der Ressortzuständigkeiten sichert eine Dauerticket für Kloster Eberbach... Wir grüßen nun erwartungsvoll und zugewandt unseren neuen Hessischen Staatsminister Ingmar Jungs, designierter Vorsitzender unseres Kuratoriums. Ihn erwarten alle verschwenderischen Freuden Eberbachs wie auch alle großen Herausforderungen, die wir hoffnungs-, kraft- und wirkungsvoll miteinander anpacken wollen.
Erwartungen, ja Hoffnungen haben wir - ganz besonders gegenüber der neuen schwarz-roten Landesregierung.
Kloster Eberbach, der gesamte Rheingau als Lebens- und Wirtschaftsraum mit starker touristischer und weinbauwirtschaftlicher Prägung mag sich in die hessischen Destinationen und Kreise einreihen, die ihre besonderen Bedürfnisse in diesen Tagen an ihre Abgeordneten und an die Mitglieder der Landesregierung adressieren. Sicherheit, Lehrkräfte und Mittelausstattung für Schulen, Fachkräftemangel, Fragen der Infrastruktur und Daseinsvorsorge überhaupt im ländlichen Raum oder die dringenden Fragen zur Asylpolitik und insbesondere zur Unterbringung der Geflüchteten in völlig überlasteten Kreisen und kreisfreien Städten – die Liste der Aufgaben ist lang...
Aktuell haben wir es zudem mit der bedrohlichen Bereitung des Nährbodens radikaler Kräfte zu tun, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellen und eine gefährliche Spaltung unserer Gesellschaft betreiben... Klar ist:
Wir dürfen uns den Raum für einen freien, respektvollen und die Würde des Nächsten achtenden, auch zuweilen harten, Diskurs nicht durch Demagogen und Feinde der Demokratie nehmen lassen. Wir alle sind aufgerufen, diesen Raum zu verteidigen.
Es muss möglich sein, sich differenziert zu den Problemen der Zuwanderung auszutauschen, ohne die Gefahr von Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung zu realisieren. Es muss möglich sein, keine Genderpause zu sprechen, ohne dabei den Vorwurf der Diskriminierung zu provozieren, genauso wie es möglich sein muss, sein Leben im Einklang mit Recht und Gesetz so zu gestalten wie es einem beliebt, und zu lieben, wen man liebt und dafür geachtet zu sein. Für all dies muss niemand Extremisten in die Parlamente wählen – ganz im Gegenteil.
Das Gefährliche, was diese Kräfte betreiben, ist, unsere Welt in schwarz oder weiß einteilen zu wollen, einfache Lösungen anzubieten und die Menschen dadurch zu verführen. Doch das ist nicht nur eine große Täuschung, sondern schließlich menschenverachtend, verfassungsfeindlich, ja gegen alles, wofür wir in Frieden und Freiheit in der Welt und in unserem eigenen Wirkungskreis stehen. Dagegen haben wir unsere Stimme zu erheben.
Das ist eine, wenn nicht die wesentliche Erwartung an uns selbst angesichts der jüngsten Geschehnisse in unserem Land.
Und das darf, ja, das muss eine Landesregierung, die aus Parteien gebildet ist, die fest auf dem Fundament unseres Grundgesetzes stehen, von uns allen erwarten und einfordern.
Heute. Hier. Jetzt.
Politik, gutes Regieren ist keine Einbahnstraße, sondern verlangt nach Teilhabe, bürgerschaftlichem und unternehmerischem Engagement und aktiver Mitgestaltung. Daher ist es gut, richtig und notwendig, jetzt gegenüber der neuen Landesregierung unsere Erwartungen deutlich zu machen. Das heißt vor allem: wir haben selbst verdammt viel Arbeit vor uns.
„Ein besonderes Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung ist Kloster Eberbach, einer der touristischen Leuchttürme unseres Landes. Wir wollen seine Geschichte erlebbar gestalten und werden die Voraussetzungen für eine zeitgemäße museumsdidaktische Neukonzeption schaffen. Auch die Erweiterung der Beherbergungskapazitäten soll zielgerichtet geprüft werden. Dabei wissen wir um die besondere Bedeutung von Kloster Eberbach für Hessen und auch um die finanziellen Herausforderungen, vor denen Stiftung und Weingut bei der Fortentwicklung und Erfüllung ihrer Aufgaben in den nächsten Jahren stehen. Dafür wollen wir die strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen auf ein neues, tragfähiges Fundament stellen.“
So steht es im neuen Koalitionsvertrag, dem Arbeitsbuch für diese Legislaturperiode. Und dieser Absatz befindet sich in einem Kapitel, dass die Überschrift trägt:
„Aus Liebe für unsere Demokratie, unsere Heimat und Regionen, für Tradition und Kultur.“
Ich hätte es nicht besser, nicht zutreffender formulieren können! Denn das entspricht exakt unserem Zielbild, durchaus der Einheit von Kloster Eberbach, von Stiftung und Weingut, unserem Selbstverständnis und unserer Aufgabe:
Wenn der Staat sich hier – ob als Unternehmer im Weingut oder Kulturträger im Kloster - betätigt, dann – und so war und ist immer auch der Anspruch formuliert – mit einem Sendungsbewusstsein, einer Botschaft an die Menschen. Die Botschaft lautet klar: Stärkung der Demokratie, Liebe zur Heimat und Bewahrung des kulturellen Erbes.
Und wir wissen, was dafür notwendig, jedenfalls zielführend ist. Wir kennen die Lösungen. Nun gilt es, den Weg zu beschreiten.
Mit der Bildung einer gemeinsam zu vermarktenden Destination Wiesbaden-Rheingau ist längst ein guter Schritt zur Bündelung der Kräfte gegangen worden. Doch allein das genügt nicht. Wir haben es den Rhein entlang insgesamt mit infrastrukturellen Rahmenbedingungen zu tun, die das Wachstum und die Entwicklung des Tourismus massiv hemmen. Wir sind alle, und ich persönlich ganz besonders, stolz auf die Vielzahl traditionsreicher und qualitativ herausragender inhaber- und familiengeführter Gastronomien und kleinerer Hotels. Doch es braucht Schubkraft für eine Destination, die in Hessen und in Deutschland ein in jeder Hinsicht traumhaftes Reise- und Erlebnisziel ist. Wir müssen hier nichts erschaffen oder erfinden, denn es ist alles da: atemberaubende, märchenhafte Landschaften, reichhaltige Geschichte, ein Musikfestival ersten Ranges in Europa und nicht zuletzt: der offenherzigste Menschenschlag unter den sonst so liebenswert grummeligen Hessen.
Diese Schubkraft muss durch den Ausbau der Infrastruktur kommen. Der Tourismus kann nicht wachsen, die Wirtschaft nicht florieren, wenn wir nicht nennenswerte Hotelkapazitäten schaffen sowie an zukunftsfähigen Mobilitätskonzepten arbeiten. Es ist an uns, in der Besinnung auf unsere eigene Kraft als Partner, die sich gegenseitig unterstützen, anzupacken und der Landesregierung tragfähige gemeinsame Konzepte vorzulegen. Kloster Eberbach wird dies nun für die museumsdidaktische Neukonzeption und den Hotelneubau tun.
Unsere Region ist so reich an Kulturdenkmälern wie kaum eine andere, und wir können stolz darauf sein, dass sie alle mit Leben gefüllt sind. Wir unterhalten keine reinen Museen. Die Kulturdenkmäler des Rheingaus sind lebendige Orte der Begegnung, des Austauschs und – auch wenn dies profan klingen mag – der Freizeitgestaltung und des Genusses. Doch dahinter verbirgt sich viel mehr:
Neben der hier zu erfahrenden Geschichte über die Geburt einer Kulturlandschaft gilt es auch, eine Geschichte des Menschseins zu erzählen, die wir wohlverstanden für uns als Gesellschaft nutzbar machen sollten. Die Zisterzienser zogen sich von der Welt zurück, um ihren Weg zu Gott und zu sich selbst zu finden, doch sie taten dies als Gemeinschaft mit klaren Regeln. Ihre Zurückgezogenheit an den Kisselbach wurde schon bald im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts ein Segen für den Rheingau. Hunderte fanden Arbeit im Kloster, in den Weinbergen, die wir heute noch alle kennen, und auf den weit verbreiteten Wirtschaftshöfen des Klosters. Sie schufen Infrastruktur, innovierten Techniken und Verfahren und dachten dabei immer in Generationen. Dabei mussten sie sich mehrfach an gewaltige Veränderungen ihrer Umwelt anpassen, um zu überleben: Über die Bauernaufstände und die Bürger von Eltville sprach ich schon... Sie haben sich all dem angenommen, als Gemeinschaft, und es irgendwie geschafft. Bis Napoleon kam... und dann das Land Hessen.
Was ich Ihnen sagen möchte: Der Blick zurück, den wir hier in Eberbach schärfen, bilden, schulen wollen, ist kein rein wissenschaftlich historischer. Der Blick zurück ist immer dann wertvoll, wenn er uns mit Lehren, Wissen und Erfahrungen ausstattet, die wir für die Gestaltung unserer Gegenwart und Zukunft einsetzen können. Auch das ist die Aufgabe von Kloster Eberbach. In einer Welt, in der religiöse und territoriale Konflikte zu Krieg, Hass und Vertreibung führen, ist es uns wichtig, in unserem Wirkungskreis mit einer PLAYMOBIL-Ausstellung zu den Kulturen und Religionen der Welt zu führen und damit einen Beitrag für Verstehen, vielmehr Neugier und Interesse noch als Toleranz, ja für Nächsten- und Fremdenliebe zu leisten.
In einer Welt, in der Naturkatastrophen Menschen Obdach, Heimat, Leben nehmen, züchten wir Klosterbienen und bauen ein Bienenhaus für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Diese konkreten Beispiele mögen angesichts des kurz angerissenen unermesslichen Leids fast lächerlich wirken. Doch uns trägt bei allen noch so kleinen Schritten das Bekenntnis, welches wir aus der Tora des Judentums und dessen Auslegung durch Jesus von Nazareth kennen und das wir in alles legen:
„Liebe Deinen Nächsten, denn er ist wie Du.“
Wir haben viel Arbeit vor uns - und das in einer Welt, die viele Selbstverständlichkeiten, mit denen wir groß geworden sind, in Zweifel stellt.
Ob für das entschiedene Eintreten für Demokratie und Freiheit, ob für das gemeinsame Anpacken für den Weinbau, den Tourismus, die Kultur und unsere gemeinsamen Werte, mögen die Worte des Schriftstellers Leo Tolstoi uns in diesem Jahr leiten:
„Denkt immer daran, dass es nur eine wichtige Zeit gibt:
Heute. Hier. Jetzt.“
Vielen Dank!
21.01.2024 ⋅ News